Diese Sendung enthält einen von kurzen Musikeinschüben und redaktionellen Zusammenfassungen unterbrochenen Vortrag (samt Diskussion) von Christine Achinger und wurde Ende 2005 vom FSK Hamburg produziert und gesendet. Achinger zeigt anhand des Buches »Geschlecht und Charakter« (1903), wie sich das bürgerliche (männliche) Subjekt prekär gegen „die Frau“ und „den Juden“, also misogyn und antisemitisch, konstituiert, weil es als entkörperlichtes, aller Natur, aller Gesellschaft und aller Geschichtlichkeit enthobenes Genie alle Anteile seiner selbst, die darin nicht aufgehen, auf verschiedene „Anti-Subjekte“ projizieren muss, um seine eigenen Widersprüche zu integrieren.
Achinger nimmt dabei Bezug auf Freud und die Dialektik der Aufklärung von Horkheimer und Adorno und kommt interessanterweise zu ganz ähnlichen Einsichten wie die Wert-Abspaltungskritik von Roswitha Scholz, Robert Kurz et al. Für deren Ansatz spricht auch der Umstand, dass sich im Idealsubjekt auf eigentümliche Weise Aufklärung (Transzendentalsubjekt von Kant) und Gegenaufklärung (romantisches Genie z.B. bei Nietzsche) verschränken. Außerdem unternimmt die Abspaltungstheorie den Versuch, die Anteile der Misogynie und des Antisemitismus an der modernen Subjektkonstitution, wie sie im Vortrag beschrieben sind, in Beziehung zu setzen zu anderen Ideologien wie Rassismus gegen sog. „Zigeuner“ oder People of Color. Aber das nur am Rande.
Audiocharakteristika: mp3, mono, 56 kbit/s, ~2 Stunden
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Den Eröffnungsvortrag dieser Sendereihe bildet „Das bürgerliche Subjekt und seine Feinde. Antisemitismus und Antifeminismus bei Otto Weininger” von Christine Achinger (University of Warwick/UK). Darin analysiert sie die 1903 erschiene Dissertation „Geschlecht und Charakter”, in der Weininger seine Theorie zweier gegensätzlicher Prinzipien „M”(ännlich) und „W”(eiblich) entwarf. Achinger interpretiert dies als die Herstellung des bürgerlichen männlichen Subjekts durch Abwehr und Verfolgung des Naturhaften und Irrationalen im Prinzip „W”. In einem weiteren vielfach unbeachteten Kapitel führt Weininger auch das Prinzip „J”(üdisch) als die Verkörperung des Abstrakten ein, das das bürgerliche Subjekt gewissermaßen von der anderen Seite bedroht. So analysiert Achinger Weiningers Text mit Hilfe der „Dialektik der Aufklärung” als Versuch der Abwehr von Naturherrschaft im Prinzip „W” und von Kulturherrschaft im Prinzip „J”, das bürgerliche Subjekt somit als permanent prekäres, eingeklemmt zwischen zwei Fronten. (Otto Weininger selbst erschoss sich im Jahr der Erscheinung seines Buches.)
Achingers Vortrag bietet sowohl eine hervorragende Einleitung in die Grundkonzeption der Dialektik der Aufklärung, als auch eine außergewöhnlich spannende Analyse der Verknüpfung von Antifeminismus und Antisemitismus.