Die Situationistische Internationale zu würdigen, heißt ihren Zeitkern zu retten. In den 1950er Jahren bewegte sie sich in »einer vom Krieg zerstörten Landschaft, den eine Gesellschaft gegen sich und ihre eigenen Möglichkeiten führt« nicht als Avantgarde, sondern als »enfants perdues«, als versprengter Haufen, welcher mit der Aufhebung der Kunst meinte die »Nordwestpassage« der proletarischen Revolution gefunden zu haben. Dabei fanden sie die Stellungen der alten Arbeiterbewegung im sozialen Krieg verlassen vor. Jede revolutionäre Perspektive schien im Spektakel der Blockkonfrontation verstellt, die Niederlagen des revolutionären Anlaufs nach dem Ersten Weltkrieg bis in die 1930er Jahre schienen zementiert, besonders auf jenem Drittel des Globus, wo sie von den nachholenden Modernisierungsregimen unter roter Fahne in einen Sieg umgelogen worden waren. Die Herrschaft der Bilder des Bestehenden, sein Monolog über die in der spektakulären Warenproduktion zum Zuschauen verdammten ProduzentInnen dieses Verhältnisses, schien für die Ewigkeit bestimmt zu sein. Ausgerüstet mit von den historischen (Kunst-)Avantgarden entwendeten Techniken, mit Marx und Freud sowie der tiefen Verachtung gegenüber jeglicher Duldsamkeit, legte die SI den Warenfetischismus als die Wurzel des Spektakels frei und eröffnete unverzüglich den feindlichen Dialog mit der alten Welt, wohl wissend, dass bereits in der Praxis derTheorie jede Nachlässigkeit in einer Verstärkung des Bekämpften münden würde. In dem somit wieder eröffneten Spiel ging es blutig-ernst darum, die Dialektik von historisch hervorgebrachten gesellschaftlichen Möglichkeiten und ihrer erbärmlichen Nutzung für die Zwecksetzung in der kapitalistischen Warenproduktion bewusst werden zu lassen, dieradikalen Bedürfnisse auf der Höhe der Zeit zu entdecken und mit ihnen ihre TrägerInnen, das revolutionäre Proletariat. Situationen mussten konstruiert werden, welche dieses kenntlich und seiner selbst bewusst machen konnten. Der Wettlauf mit der alten Welt entschied sich in der Beschleunigung bei der Ausbreitung proletarischer Begierden, der Entwendung der bisher warenförmig gefesselten gesellschaftlichen Raumzeit für die praktische Kritik des Alltagslebens und das Eingehen neuer menschlicher Beziehungen: »Die Revolution ist aufs Neue zu erfinden – das ist alles.« Was im wilden Generalstreik im Mai/Juni 1968 in Frankreich und später in Italien für kurze Zeit aufgeschienen war, die Infragestellung aller Aspekte kapitalistischer Vergesellschaftung, erscheint heute kaum noch als Traum – geschweige denn, dass die Gegenwart TrägerInnen für ihn abzugeben schiene. Es kann kein zurück geben zur SI, sie muss ihre gründlichen KritikerInnen finden. Gewürdigt werden kann sie überhauptnur darin, dass ihre Schwächen und Halbheiten grausam-gründlich bloß gelegt werden. Nicht unter ihrem Niveau den nächsten Anlauf zur Überwindung fetischistischer Vergesellschaftung zu unternehmen, heißt sich der aktuellen Bedingungen und Möglickeiten gewahr zu werden – vor allem aber der unbeglichenen Schulden der Geschichte.
Symposium: Spektakel Kunst Gesellschaft
Audiocharakteristika: mp3, mono, 24 kbps
Gesamtlänge: 93:16 min.
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